Montag, 24. Oktober 2011

Problematik des Fortschrittdenkens

Während viele Kulturen in Kreisläufen denken, an die ewige Wiederkehr des prinzipiell Gleichen, kennt das Christentum einen Zielpunkt der Ge­schichte. Ob man dabei mehr das Jüngste Gericht oder das Kommen des Herrn im Blick hatte, ein Ende war vorgegeben. Mit Fortschritt im heutigen Sinne hatte das freilich wenig zu tun. Das Reich Gottes kommt - nach christlicher Überzeugung - nicht aufgrund menschlicher Anstrengungen, sondern von Gott. Erst im Zuge der Säkularisierung, im Kraftgefühl der Befreiung aus alten Bindungen entwickelt sich in der Renaissance und weitergehend in der Aufklärung der Fortschrittsgedanke. Und töricht wäre es, diesen Fortschritt zu leugnen. In den Naturwissenschaften, in der Fähigkeit, Naturvorgänge nach mathematischen Regeln zu beschreiben, und in der Technik, in der Möglichkeit, Natur­kräfte und -stoffe in den Dienst des Menschen zu stellen, hat es zweifellos einen Fortschritt gegeben. Und damit steht man in einer gut biblischen Tradition. Das 'Macht euch die Erde Untertan!' (l.Mose 1,28) ist von den Menschen erfüllt worden wie wohl kaum eine andere biblische Aufforderung.

Freilich, indem er die Erde zu seiner Sklavin machte, zerstörte der Mensch auch immer mehr ihre Fähigkeit, für sich selbst Vorsorge zu treffen. Er übernahm die Verantwortung, die Natur zu lenken, eine Verantwortung, von der wir heute wissen, dass er sie nicht tragen kann. Umweltschutz ist der Versuch, die Selbststeuerung der Natur wiederzugewinnen. Wir wissen nicht, ob die Tatsache, dass er so wenig Fortschritte macht, nicht vielleicht bedeutet, dass es schon zu spät ist. Die Rohstoffe sind nahezu erschöpft, und das Gleichgewicht der Natur ist erheblich gestört. Da kommt mit den Mikroprozessoren, mit dem Chip, mit dem Computer plötzlich die Chance, Produktivität zu erhöhen, ohne vermehrt Rohstoffe zu verheizen. Die Möglichkeit, Vorgänge berechenbar und damit beherrschbar zu machen, die vordem zu kompliziert dafür erschie­nen. Die Rettung. Freilich, schon beim ersten Problem, das er hervorruft, bei der Arbeits­losigkeit, versagt der Computer. Tausende von Problemen werden mit dem Computer wie spielerisch gelöst; aber die Arbeitslosigkeit zu verhindern, die er schafft, weil er viele Menschen als Problemlöser arbeitslos (redundant, d.h. scheinbar überflüssig) macht, diese Arbeitslosigkeit zu verhindern gelingt ihm nicht. Genauer gesagt: sie ist ein Problem, mit dem die Menschen nicht fertig werden, nicht trotz der Computerhilfe, sondern wegen ihr. Weil sie mit dem Computer nicht fertig werden.

Aber sonst hat er sich als unersetzlich herausgestellt. Ob bei der Bank, ob bei Behörden, der Computer ist immer dabei. Und der Computerfehler natürlich. Nicht immer so sinnlos wie bei der Einberufung von Babys und 101-jährigen zum Wehrdienst (einem simplen Fehler bei der Programmierung zuzuschreiben), manchmal auch unauf­fällig ("Wir haben ihre Überweisung als Bareinzahlung gebucht, weil das Zeichen Überweisung in unserem Computer nicht funktioniert."), nicht selten als Zusammenbruch des ganzen Systems. Bei der Börse z.B., wo dank Computer der Handel sich schneller abwickeln ließ, sich deshalb verviel­fachte und genau damit den Computer wieder überforderte, so dass alles zusammenbrach, oder auf dem Flughafen ("Due to a breakdown of the Computer System at the control tower the take off will be postponed.") Einzug gehalten hat er recht bald auf militärischem Gebiet. Ob die Atombombe nur durch den Computer ermöglicht wurde, ist strittig. Tatsache ist, dass dem Entwicklungsteam unter Oppenheimer ein - für damalige Verhältnisse - ungewöhnlich leistungsfähiger Computer zur Verfügung stand und dass heute Raketen wie Früh­warnsysteme computergesteuert sind. Auch hier gibt es eindrucksvolle Leistungen (wie die Versenkung einer britischen Fregatte durch eine kleine selbstgesteuerte Rakete im Falkland­krieg) und den Computerfehler. Wurde doch vom Zentralcomputer des Frühwarnsystems dem Pentagon gemeldet, russische Raketen seien im Anflug auf die USA. Und nur wenige Minuten, bevor die amerikanischen Raketen hätten abgeschossen werden müssen, stellte es sich heraus, dass versehentlich ein Übungsprogramm als Realität erschienen war. Damals konnte man den Fehler herausfinden. Heute sind die Zeiträume, innerhalb deren man reagieren muss, aus technischen Gründen drastisch verkürzt. Es heißt, deshalb hätten Amerikaner wie Russen die Kontrolle über den Raketenabschuss schon dem Computer übergeben. Und Computerfehler zu beseitigen, wenn sie ein­mal in ein Programm eingebaut sind, ist übrigens nach J. Weizenbaum, einem angesehenen amerikanischen Computer­spezialisten am MIT in Cambridge Mas­sachusetts, nicht mehr durch Ausmerzen aus dem Programm, sondern nur noch durch 'Flicken' möglich. Denn die großen Computersysteme sind heute auch von Experten nicht mehr zu durchschauen. (Eine Aussage, bei der - laut Weizenbaum - ihm noch nie ein Computerexperte widersprochen hat.) Aber warum immer von den Schwächen der Computer reden, reden wir doch einmal von ihren Leistungen! Und damit wären wir bei der Geschichte von der Erdnussbutter. (verfasst 1987)

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