"Was bleibt" ist der Titel einer Erzählung von Christa Wolf.
Die Blogparade Tod und Trauer im Internet (2012) handelte davon.
Ich habe meinerseits im November 2011 dazu geschrieben. Knapp ein Jahr darauf habe ich mich dankbar dem angeschlossen, was ein anderer im Internet über meine Trauer gesagt hat.
Ausführlich schreibt zu "Was bleibt" unter dem Titel "Was von uns übrig bleibt, ..." SVEN STILLICH in ZEIT Wissen 1/2015 - Dabei kommt er auch auf Christa Wolf zu sprechen.
Wie lange wird die Wikipedia bleiben? Wie lange werden die ersten Versionen der Artikel bleiben? Wie lange werden einzelne Artikel bleiben?
In Österreich werden Keramikplatten hergestellt, die heutige Kenntnisse so dauerhaft überliefern sollen wie die Tontäfelchen der Keilschriftkultur.
Eine Bautechnik mit ähnlichen Ergebnissen wie Keramik: Tadelakt aus Marokko uns überliefert.
Mittwoch, 14. Januar 2015
Was bleibt?
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Donnerstag, 8. Januar 2015
Adel und Bürgertum
Ich hätte nicht übel Lust, anhand von Fontanes Text über Marwitz und Jürgen Osterhammels Aussagen über das Bürgertum eine kleine Abhandlung über Adel und Bürgertum zu schreiben.
Vorläufig bleibt es bei einer kleinen Andeutung.
Zunächst zur Einführung das, was die Wikipedia über Marwitz als politischen Vertreter der Adelsrechte schreibt:
Als Politiker vertrat Marwitz den altpreußischen Adel. Er war – wie die meisten dieser Adeligen – ein vehementer Gegner der Reformpolitik der Minister Freiherrn vom Stein und Fürst Hardenberg, in denen er – ähnlich wie Ludwig Yorck von Wartenburg – eine Gefahr für die Privilegien des Adels und des vom Adel gestützten preußischen Staates erblickte. Das Königreich müsse nach seiner Ansicht vom Adel dominiert bleiben.1811 verfasste er die Lebuser Denkschrift. Darin ließ er die Stände des Lebuser Landes den König fragen, ob „unser altes, ehrwürdiges Brandenburg-Preußen ein neumodischer Judenstaat werden solle?“. Marwitz wandte sich dagegen, die Erbuntertänigkeit der Bauern vom Gutsherrn durch Geldzahlungen abzulösen und Adelsgüter auch für Bürgerliche zum Erwerb freizustellen. Marwitz befürchtete, dass damit das damals aufstrebende städtische Bürgertum oder Banken – daher die polemische Formulierung vom „Judenstaat“ –, die wenig kapitalstarken Adeligen durch Aufkaufen von Grundeigentum aus ihren angestammten Besitztümern verdrängen würde.Dagegen agitierte er für seine Rechtsposition, dass der adelige Großgrundbesitz zugleich die unaufgebbare Machtbasis der herrschenden Hohenzollern sei. Nach Marwitz Meinung brachen die Neuerungen alte ungeschriebene Verträge (u. a. mit Friedrich Wilhelm III. bei dessen Amtsantritt), die der Adel einst mit dem preußischen König geschlossen habe und mit denen er seine Machtansprüche an den König delegiert habe.Marwitz war überzeugt, dass der Adel wie von jeher in alter preußischer Tradition alle Offiziersstellen der Armee innehaben solle und diese Vormachtstellung in der sozialen Struktur des Staates erhalten bleiben müsse. Dieses entsprach den Interessen vieler Adelsfamilien: In Preußen war eine Erbaufteilung von Landgütern wegen des kargen, unfruchtbaren Bodens unwirtschaftlich. So stand in den Adelsfamilien für die jüngeren Brüder der Erben häufig nur die Offizierslaufbahn als Karriereweg offen.Marwitz blieb diesen Positionen auch nach Umsetzung der Reformen bis ins hohe Alter treu. Auch in den letzten Lebensjahren bekämpfte er unermüdlich die Ergebnisse der Stein-Hardenbergschen Reformen. Daher sagte Theodor Fontane über ihn: „Die Marwitze haben dem Lande manchen braven Soldaten, manchen festen Charakter gegeben, keinen aber braver und fester, als Friedrich August Ludwig von der Marwitz, dessen Auftreten einen Wendepunkt in unserem staatlichen Leben bedeutet. Erst von Marwitz´ Zeiten ab existiert in Preußen ein politischer Meinungskampf.“ (Seite „Friedrich August Ludwig von der Marwitz“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 25. November 2014, 08:28 UTC. URL:http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Friedrich_August_Ludwig_von_der_Marwitz (Abgerufen: 8. Januar 2015, 21:46 UTC))
Jetzt hören wir Fontane zu dem von ihm hochgeschätzten Marwitz noch etwas ausführlicher:
Diese nur allzu begründeten Zweifel führen mich auf Marwitzens angreifbarsten Punkt, auf sein Verhältnis zum Bürgerstand. Er ließ den »Bürgerstand« gelten, soweit er in die alte ständische Institution hineinpaßte, aber er haßte die »Gebildeten«. Und da die Bürgerlichen zu jener Zeit überwiegend die Träger dieser Bildung waren, so wurde daraus eine Verkleinerung, eine völlig schiefe Stellung zum Bürgertum überhaupt. Daß ihm das damalige, von Revolutionsideen erfüllte Bürgertum, das wenigstens hier und dort die Niederlage von Jena mit Befriedigung vernommen hatte, wenig sympathisch war, war ebenso begreiflich wie berechtigt, aber er verharrte in dieser Abneigung auch noch, als die Ereignisse des Jahres 1813, und zwar nicht nur die Erhebung des Volks, sondern ganz speziell die Begeisterung der »Gebildeten«, ihm den Beweis geliefert hatte, daß auch ein Bücherwurm und Wissenschaftler für eine gute Sache zu fechten und zu sterben verstehe. Er selbst gab diese Dinge im einzelnen zu, aber dem ganzen Stande gegenüber blieb ihm das aristokratische Vorurteil. Der Adel nahm in seinen Augen nicht nur politisch und gesellschaftlich, sondern auch moralisch eine überlegene Sonderstellung [220] ein; seine Gesinnung war besser, ebenso seine Haltung, und so viel Wahrheit und partielle Berechtigung, namentlich angesichts unseres märkischen Spießbürgertums, in dieser Auffassung liegen mochte, so führte dieselbe doch gelegentlich zu den allerbedenklichsten Konsequenzen. Eine Anekdote mag dies zeigen.Nun Jürgen Osterhammel:
Im Jahre 1806 traf unser Marwitz, wenige Tage vor der Jenaer Schlacht, im Schlosse zu Weimar mit Goethe zusammen. Wie schildert er nun diesen? »Er war ein großer, schöner Mann, der stets im gestickten Hofkleide, gepudert, mit einem Haarbeutel und Galanteriedegen, durchaus nur den Minister sehen ließ und die Würde seines Ranges gut repräsentierte, wenngleich der natürlich freie Anstand des Vornehmen sich vermissen ließ.« Also auch Goethe konnte sich in Haltung und Erscheinung nicht bis zur Ebenbürtigkeit erheben. Er war ein anstandsvoller Minister und ein großer Poet, war der Freund seines Fürsten und der leuchtende Stern des Hofes, aber geboren als ein Bürgerssohn zu Frankfurt, ließ er doch den »freien Anstand des Vornehmen vermissen«. Es gebrach ein unaussprechliches Etwas, vielleicht die hohe Schule des Regiments Gensdarmes. [...]
In Standesvorurteilen, wie sie das Urteil über Goethe zeigt, war und blieb Marwitz befangen; aber er verfuhr auch hierin nach Überzeugung und stumpfte dadurch den Stachel der persönlich Verletzenden. Zudem hielt es nicht schwer, die Wurzel seines Irrtums zu erkennen. Während er nämlich sich selbst als Repräsentanten des Adels nahm, nahm er den ersten besten Bürgerlichen [221] als Repräsentanten des Bürgerstandes. Der Zufall wollte, daß er in sich selbst einen so vollkommenen Vertreter adeliger Gesinnung zur Hand hatte, daß bei solchem Herausgreifen aufs Geratewohl der Bürgerliche mit einer Art von Notwendigkeit zu kurz kommen mußte. Er vergaß eben, daß nicht jeder Adelige ein Marwitz war, und daß viele Eigenschaften, die er an den »Gebildeten« haßte, nicht Sondereigenschaften des Bürgerstandes, sondern allgemeine Eigenschaften der ganzen Epoche waren. So geißelte er das Auftreten eines eitlen, leckern und gesinnungslosen Historikers, der damals in den Berliner Salons vergöttert wurde, mit verdientem Spott, aber andere bürgerliche Namen, die seines Beifalls würdig gewesen wären, hätten ihm ebenso nah oder vielleicht näher gelegen. (Fontane: Wanderungen, Oderland, Marwitzkapitel, S.219-221)
"Der Bürger will gestalten und organisieren, er hat einen hohen Begriff von seiner Verantwortung und will [...] mithelfen, dem gesellschaftlichen Leben eine Richtung zu geben.""Statt wie der Adlige auf die Ehre achtet der typische Bürger auf Respektabilität" ("Sorge um den guten Ruf") (S.1085)Die "wirtschaftliche Ausdrucksform [der Respektabilität] ist die Kreditwürdigkeit" (S.1085)"Im 'bürgerlichen Zeitalter' bildeten Bürger von 'Besitz und Bildung' eine winzige Minderheit unter der Weltbevölkerung." (S.1086)Der Adel hatte weltgeschichtlich eine politisch bestimmende Rolle über Jahrtausende hinweg. Dem gegenüber ist die Rolle des Bürgertums eine recht neue und - aufgrund der definitorischen Schwierigkeiten mit Klein-, Bildungs- und Großbürgertum - fast marginal zu nennen. Denn der Staatsbürger von heute umfasst ja alle bis ins 19. Jahrhundert noch klar getrennte Schichten.
"Nirgendwo sonst als in Westeuropa und den neo-europäischen Siedlergesellschaften scheint es die Vorstellung gegeben zu haben, die Mitte der sozialen Hierarchie könne dem gesellschaftlichen Ganzen ihre Ideale der Lebensführung aufprägen." (S.1087) (Osterhammel: Die Verwandlung der Welt, S.1085-1087)
Was Marwitz als "freien Anstand des Vornehmen" an Goethe vermisste, war das, was Ludwig der XIV.* an seinen Adligen so fürchtete, dass er sie nicht zu Ministern machte und sie (wie der japanische Shogun*) durch Hofdienst und Gehälter von ihrem angestammten Besitz zu entfremden suchte.
In Preußen hatten die Hohenzollern, gipfelnd bei Friedrich II., es verstanden, Pflichttreue im Dienste für "König und Vaterland" hinzuzufügen, ohne die mutige Entscheidung für das beste der Sache - wie etwa bei Yorcks Konvention von Tauroggen - bei den besten auszutreiben.
Dieser Geist der Verantwortlichkeit fand sich noch bei den adligen Widerstandskämpfern gegen den Naziterror (u.a. auch bei einem Nachfahren des Yorcks von Tauroggen, bei Peter Graf Yorck von Wartenburg). Insgesamt hatte der Adel freilich, wie die vielen Beispiele adliger Befehlsempfänger Hitlers zeigten, die Rolle einer politischen Kraft damals schon längst verloren.
Schon Fontane attestiert Marwitz, dass er - obwohl juristisch im Recht - für eine überholte Position stritt.
Was bei einer Abhandlung über Adel und Bürgertum freilich nicht fehlen sollte, ist die Sicht Goethes auf diese Konstellation. Schließlich hat nicht nur Marwitz sich dazu geäußert, sondern im Wilhelm Meister auch Goethe. (Dazu, wie Goethe adelig wurde, sieh hier.)
*"Unter Ludwigs Regentschaft wurde der Staatsapparat stark zentralisiert: Provinzen und Städte wurden von Beamten verwaltet, die vom König abhängig waren, weil sie über keine eigene Ländereien verfügten. Der Adel hatte zwar solche, wurde allerdings seiner politischen Rechte enthoben." (Seite „Ludwig XIV.“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 30. Dezember 2014, 09:05 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Ludwig_XIV.&oldid=137232886(Abgerufen: 8. Januar 2015, 22:54 UTC))
*"Die Daimyō wurden gezwungen, die Hälfte des Jahres in der neuen Hauptstadt zu verbringen, und ihre Familien durften Edo überhaupt nicht verlassen. Diese Praxis, das so genannte sankin kōtai, wurde 1635 gesetzlich fixiert und blieb bis 1862 in Kraft. Die doppelte Hofhaltung verschlang gewaltige Geldmittel, die die Daimyō somit nicht zur Finanzierung eines möglichen Aufstands nutzen konnten. Zudem dienten die Familie der Daimyos als Geiseln für das Wohlverhalten der Fürsten." (Seite „Edo-Zeit“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 28. November 2014, 12:11 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Edo-Zeit&oldid=136264842 (Abgerufen: 8. Januar 2015, 22:49 UTC))
Sonntag, 3. August 2014
Wie kann man Terrorismus bekämpfen?
Terrorismus ist sehr schwer zu bekämpfen.
Innerhalb eines Landes kann man ihn bekämpfen, indem man ihm keine Zugeständnisse macht, ihm die Tätigkeit so weit als möglich erschwert und ihm Sympathisanten entzieht, indem man das, was aus ihrer Sicht als Missstand erscheint, weitestgehend entfernt.
Der Weg ist äußerst beschwerlich, hat sich aber bei der Bekämpfung des Terrors in der Bundesrepublik durch die RAF als gangbar erwiesen.
Weit schwieriger ist es, wenn sich innerhalb eines Landes zwei miteinander verfeindete Terrorgruppen gegenüber stehen. Ein Beispiel sind protestantische und katholische Terrorgruppen in Nordirland, die die bestehenden Friedensbemühungen immer wieder zu durchkreuzen verstehen. Ein anderes waren arabische und jüdische Terrorgruppen zur Zeit des britischen Mandats in Palästina. (Die Briten gaben nach erfolglosen Versuchen der Unterdrückung des Terrors auf, entließen das Land aus ihrer Herrschaft und gaben damit den Weg in die israelische Unabhängigkeit und viele folgende Kriege frei.)
Noch problematischer ist das Vorgehen gegen terroristische Regierungen. Der Erfolg der Alliierten gegen Hitlerdeutschland, der über militärische Niederwerfung des Staates bis zur unbedingten Kapitulation und Entnazifizierung im Westen zu einer erstaunlich stabilen Demokratie führte, ist eher eine Ausnahme.
Eher die Regel sind Beispiele wie der stalinistische Terror in der Sowjetunion, der selbst nach dem Tod des Diktators zunächst noch kein Ende fand. (Die endgültige Beseitigung des Terrors unter Gorbatschow führte zum Zusammenbruch der Sowjetunion und zu wenig demokratischen Regierungen in den Nachfolgestaaten, die ihrerseits die Ausbildung stabiler Mafiastrukturen nicht verhindern konnten.)
Doch die Vorgänge von 1989 in Mittel- und Osteuropa begründen andererseits die Hoffnung, dass auch Staatsterror sich nicht langfristig halten muss und dass demokratische Gegenbewegungen unter günstigen Umständen Erfolg haben können.
Andere Methoden der Terrorbekämpfung wie etwa das russische Vorgehen gegen Tschetschenien zur Bekämpfung von Terroristen in Russland galten bisher als wenig vorbildlich. Sie geben wenig Hoffnung, dass nichtstaatliche Terroristengruppen durch Vorgehen gegen Staaten unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Mittel bekämpft werden können. (2001)
Innerhalb eines Landes kann man ihn bekämpfen, indem man ihm keine Zugeständnisse macht, ihm die Tätigkeit so weit als möglich erschwert und ihm Sympathisanten entzieht, indem man das, was aus ihrer Sicht als Missstand erscheint, weitestgehend entfernt.
Der Weg ist äußerst beschwerlich, hat sich aber bei der Bekämpfung des Terrors in der Bundesrepublik durch die RAF als gangbar erwiesen.
Weit schwieriger ist es, wenn sich innerhalb eines Landes zwei miteinander verfeindete Terrorgruppen gegenüber stehen. Ein Beispiel sind protestantische und katholische Terrorgruppen in Nordirland, die die bestehenden Friedensbemühungen immer wieder zu durchkreuzen verstehen. Ein anderes waren arabische und jüdische Terrorgruppen zur Zeit des britischen Mandats in Palästina. (Die Briten gaben nach erfolglosen Versuchen der Unterdrückung des Terrors auf, entließen das Land aus ihrer Herrschaft und gaben damit den Weg in die israelische Unabhängigkeit und viele folgende Kriege frei.)
Noch problematischer ist das Vorgehen gegen terroristische Regierungen. Der Erfolg der Alliierten gegen Hitlerdeutschland, der über militärische Niederwerfung des Staates bis zur unbedingten Kapitulation und Entnazifizierung im Westen zu einer erstaunlich stabilen Demokratie führte, ist eher eine Ausnahme.
Eher die Regel sind Beispiele wie der stalinistische Terror in der Sowjetunion, der selbst nach dem Tod des Diktators zunächst noch kein Ende fand. (Die endgültige Beseitigung des Terrors unter Gorbatschow führte zum Zusammenbruch der Sowjetunion und zu wenig demokratischen Regierungen in den Nachfolgestaaten, die ihrerseits die Ausbildung stabiler Mafiastrukturen nicht verhindern konnten.)
Doch die Vorgänge von 1989 in Mittel- und Osteuropa begründen andererseits die Hoffnung, dass auch Staatsterror sich nicht langfristig halten muss und dass demokratische Gegenbewegungen unter günstigen Umständen Erfolg haben können.
Andere Methoden der Terrorbekämpfung wie etwa das russische Vorgehen gegen Tschetschenien zur Bekämpfung von Terroristen in Russland galten bisher als wenig vorbildlich. Sie geben wenig Hoffnung, dass nichtstaatliche Terroristengruppen durch Vorgehen gegen Staaten unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Mittel bekämpft werden können. (2001)
Samstag, 26. Oktober 2013
Doppeljubiläum (von 1997)
Sie sind Zwillinge. Beide feiern ihren 125. Geburtstag.
Unsere Schule, vor 125 Jahren freilich noch eine höhere Töchterschule, Und sie, die damals nur das Projekt eines Lehrers war und erst 1901 amtlich wurde, Konrad Dudens "Deutsche Rechtschreibung ". 1872 erschien sein gleichnamiges Buch.
Sie sollte eine "demokratische Rechtschreibung" sein, leicht zu erlernen und den Bedürfnissen aller Volksschichten genügen. Damit setzte sich Duden von den Forderungen Jakob Grimms ab, der eine etymologische Rechtschreibung gefordert hatte, die die Herkunft der Wörter erkennen lasse.
Derselbe Streit um etymologische Korrektheit und leichtere Erlernbarkeit begleitete auch die jetzige Reform der Rechtschreibung aus Dudens Tagen: Eine wesentliche Reduktion der Rechtschreib- und Kommaregeln soll zukünftigen Schülern und Lehrern die Erarbeitung der Rechtschreibung leichter machen. Noch aber soll die neue Rechtschreibung an hessischen Schulen nicht gelehrt werden.
So wundere dich nicht, zukünftiger Leser, wenn du in dieser Festschrift die neuen Regeln nur in den letzten Absätzen dieses Textes befolgt siehst: Noch fällt es uns schwer behände die Kommas vor erweiterten Infinitiven wegzulassen. Noch kommen wir uns belämmert vor, wenn wir die Gämse und das Känguru schreiben sollen. Doch freut es einen Lehrer wenn er " selbstständig " und " Rad fahren " nicht mehr anzustreichen braucht, da bei diesen Wörtern leider schon seit vielen Jahren die meisten Schüler der Zeit voraus waren und die reformierte Schreibung schon vor der Reform anwandten.
Doch jetzt haben wir Jung und Alt genug von der neuen Schreibung geboten, möchten hier Halt machen und überlassen dem heutigen wie dem künftigen Leser zu raten, welche Schreibungen der hier vorliegenden Wörter erst nach der neuen Rechtschreibung zulässig sind und welche heute noch die Rechtschreibprüfungsprogramme der Computer Sturm laufen lassen.
Achtung! Auch diese Programme sind bei manchen Schreibweisen - aufgrund der ihnen innewohnenden Logik - schon heute auf dem Stand nach der Reform.
Aus den verschiedensten Gründen sind in diesen Blog auch einige Texte gelangt, die nicht von mir verfasst wurden (und zwar von Gustav Freytag und von Fritz Reuter, die beide meiner Meinung nach zu Unrecht fast vergessen sind). Deshalb soll endlich wieder ein Text von mir hier stehen. Er wurde 1997 für eine Schulfestschrift verfasst.
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Frau Syndikus lässt reden (Reuter)
Frau Syndikus hat eine vorgefasste Meinung: Karl Hawermann ist schuldig. Aber sie hat dafür nicht sonderlich starke Argumente. So schickt sie zunächst eine gute Bekannte vor. Die wird von Fritz Reuter gleichsam vorgeführt:
" »Mein Gott«, rep de Teewirtin tauletzt, »was wissen Sie denn?« – »Die Krummhorn kann's erzählen«, säd de Syndikussen käuhl, »sie hat's ebensogut gesehen wie ich.« – De Krummhurn was 'ne gaude Fru un vertellte ok gaud un schafflich, äwer ehr Mundwark hadd den sülwigen Fehler, den den Protonotär Schäfer sine Bein hadden, 't würd mit ehr stüerlos, un grad as de Protonotär müßte sei af un an einen oder den annern tauraupen: »Holl mi wiß!« oder: »Dreih mi üm!« – Sei fung nu an: »Ja, er kam quer über den Markt her ...« – »Wer?« frog so'n oll lütten dämlichen Gerichtsakzesser, de sick ut de Sak noch nich vernemen kunn. – »Still!« rep allens. – »Also er kam quer über den Markt her, ich kannte ihn gleich wieder, er hat sich bei meinem Mann vordem einmal einen neuen Anzug gekauft, einen schwarzen Leibrock und eine blaue Hose – ih, was sag' ich! – einen blauen Leibrock und eine schwarze Hose; ich seh ihn noch wie heute, er trug immer gelblederne Beinkleider und Stulpenstiefel – oder war das Fritz Triddelfitz? – Das weiß ich doch wirklich nicht [482] mehr gewiß. – Ja, was wollte ich doch noch sagen?« – »Er kam quer über den Markt herüber«, säden en Stückener drei Stimmen. – »Richtig! Er kam quer über den Markt herüber und kam in die Frau Syndikus ihre Straße, ich war gerade bei der Frau Syndikus, denn die Frau Syndikus wollte mir ihre neuen Gardinen zeigen, sie sind von Jud' Hirschen – nein, ich weiß schon – von Jud' Bären, der neulich erst bankerott gemacht hat. Es ist merkwürdig; mein Mann sagt, alle unsere Juden machen bankerott und werden dadurch nur immer reicher, ein christlicher Kaufmann kann gar nicht gegen die verdammten Juden aufkommen. Wie weit war ich doch noch?« – »Er kam in die Straße der Frau Syndikus.« – »Ja so! Die Frau Syndikus und ich standen grade am Fenster und konnten in die Stube der Frau Pastorin Behrens hineinsehen, und die Frau Syndikus sagte, ihr Mann habe gesagt, wenn die Frau Pastorin es auf einen Prozeß wollte ankommen lassen – nein, nicht die Frau Pastorin – die Kirche oder das Konsistorium oder sonst wer, dann müßte der Herr Pomuchelskopp oder sonst wer ein neues Predigerhaus zu Gürlitz bauen, und die Frau Syndikus ...« –
Äwer de Fru Syndikussen stunn de Geschicht nu all bet an den Hals, sei hadd sick, as sei de Krummhurn taum Vertellen upfödderte, 'ne nüdliche Raud för ehre Ungeduld bunnen, sei föll hir also in de Red': »und da ging er in das Haus der Frau Pastorin und, ohne sich weiter auf dem Flur aufzuhalten, gleich in die Wohnstube, und die alte Frau fuhr vom Sofa auf und machte solche Handbewegung, als müßte sie sich ihn vom Leibe halten, ..."
" »Mein Gott«, rep de Teewirtin tauletzt, »was wissen Sie denn?« – »Die Krummhorn kann's erzählen«, säd de Syndikussen käuhl, »sie hat's ebensogut gesehen wie ich.« – De Krummhurn was 'ne gaude Fru un vertellte ok gaud un schafflich, äwer ehr Mundwark hadd den sülwigen Fehler, den den Protonotär Schäfer sine Bein hadden, 't würd mit ehr stüerlos, un grad as de Protonotär müßte sei af un an einen oder den annern tauraupen: »Holl mi wiß!« oder: »Dreih mi üm!« – Sei fung nu an: »Ja, er kam quer über den Markt her ...« – »Wer?« frog so'n oll lütten dämlichen Gerichtsakzesser, de sick ut de Sak noch nich vernemen kunn. – »Still!« rep allens. – »Also er kam quer über den Markt her, ich kannte ihn gleich wieder, er hat sich bei meinem Mann vordem einmal einen neuen Anzug gekauft, einen schwarzen Leibrock und eine blaue Hose – ih, was sag' ich! – einen blauen Leibrock und eine schwarze Hose; ich seh ihn noch wie heute, er trug immer gelblederne Beinkleider und Stulpenstiefel – oder war das Fritz Triddelfitz? – Das weiß ich doch wirklich nicht [482] mehr gewiß. – Ja, was wollte ich doch noch sagen?« – »Er kam quer über den Markt herüber«, säden en Stückener drei Stimmen. – »Richtig! Er kam quer über den Markt herüber und kam in die Frau Syndikus ihre Straße, ich war gerade bei der Frau Syndikus, denn die Frau Syndikus wollte mir ihre neuen Gardinen zeigen, sie sind von Jud' Hirschen – nein, ich weiß schon – von Jud' Bären, der neulich erst bankerott gemacht hat. Es ist merkwürdig; mein Mann sagt, alle unsere Juden machen bankerott und werden dadurch nur immer reicher, ein christlicher Kaufmann kann gar nicht gegen die verdammten Juden aufkommen. Wie weit war ich doch noch?« – »Er kam in die Straße der Frau Syndikus.« – »Ja so! Die Frau Syndikus und ich standen grade am Fenster und konnten in die Stube der Frau Pastorin Behrens hineinsehen, und die Frau Syndikus sagte, ihr Mann habe gesagt, wenn die Frau Pastorin es auf einen Prozeß wollte ankommen lassen – nein, nicht die Frau Pastorin – die Kirche oder das Konsistorium oder sonst wer, dann müßte der Herr Pomuchelskopp oder sonst wer ein neues Predigerhaus zu Gürlitz bauen, und die Frau Syndikus ...« –
Äwer de Fru Syndikussen stunn de Geschicht nu all bet an den Hals, sei hadd sick, as sei de Krummhurn taum Vertellen upfödderte, 'ne nüdliche Raud för ehre Ungeduld bunnen, sei föll hir also in de Red': »und da ging er in das Haus der Frau Pastorin und, ohne sich weiter auf dem Flur aufzuhalten, gleich in die Wohnstube, und die alte Frau fuhr vom Sofa auf und machte solche Handbewegung, als müßte sie sich ihn vom Leibe halten, ..."
Montag, 20. August 2012
Nachbarschaft
"In künftigen Zeiten wird, wie man hört, auf dem Erdball eitel Freude und Liebe sein. Die Menschheit wird in wassergrünem und himmelblauem Gewande einhergehen, Sandalen an den Füßen und Palmzweige in der Hand, um dem letzten Haß und der letzten Bosheit Salz auf den Schwanz zu streuen und diese Nachtvögel für das große Museum der Zukunft auszustopfen. Bei solcher Jagd wird man finden, daß das letzte Nest der Unholde zwischen den Wänden zweier Nachbarhäuser hängt. Denn zwischen Nachbar und Nachbar nisten sie, seit der Regen vom Dach des einen Hauses in den Hof des andern rieselt, seit der Sonnenstrahl durch eine Hausmauer der andern vorenthalten wird, seit Kinder die Hände durch den Zaun stecken, um Beeren zu naschen, seit der Hausherr nicht abgeneigt ist, sich selbst für besser zu halten als seine Mitmenschen."
(Gutav Freytag: Die verlorene Handschrift, Buch 1, Kap.2, S. 22)
(Gutav Freytag: Die verlorene Handschrift, Buch 1, Kap.2, S. 22)
Donnerstag, 2. August 2012
Gustav Freytag: Die verlorene Handschrift
In dieser Erzählung schilderte ich Lebenskreise, welche mir seit meiner eigenen akademischen Zeit vertraut waren: die Wirtschaft auf dem Lande und die Universität. Möchte man den Schilderungen ansehen, daß ich hier recht mühelos und froh aus dem Vollen geschöpft habe. Bei den Gestalten der akademischen Welt würde man vergebens nach bestimmten Vorbildern suchen, denn Herr und Frau Struvelius, Raschke und andere sind Typen, denen wohl auf jeder deutschen Universität einzelne Persönlichkeiten entsprechen. [...]
Denn als wir einmal zu Leipzig, noch vor seiner Berufung nach Berlin, allein beieinander saßen, offenbarte er Moritz Haupt mir im höchsten Vertrauen, daß in irgend einer westfälischen kleinen Stadt auf dem Boden eines alten Hauses die Reste einer Klosterbibliothek lägen. Es sei wohl möglich, daß darunter noch eine Handschrift verlorener Dekaden des Livius stecke. Der Herr dieser Schätze aber sei, wie er in Erfahrung gebracht, ein knurriger, ganz unzugänglicher Mann. Darauf machte ich ihm den Vorschlag, daß wir zusammen nach dem geheimnisvollen Hause reisen und den alten Herrn rühren, verführen, im Notfall unter den Tisch trinken wollten, um den Schatz zu heben. Weil er nun zu meiner Verführungskunst bei gutem Getränk einiges Zutrauen hatte, so erklärte er sich damit einverstanden, und wir kosteten das Vergnügen, den Livius für die Nachwelt noch dicker zu machen, als er ohnedies schon ist, recht gewissenhaft und ausführlich durch. Aus der Reise wurde nichts, aber die Erinnerung an jene beabsichtigte Fahrt hat der Handlung des Romans geholfen.
In Leipzig hatte ich kurze Zeit auf der letzten Straße am Rosental bei einem Hutmacher gewohnt, der in seiner Fabrik [623] Strohhüte verfertigte, neben ihm war zufällig ein anderes wohlbekanntes Geschäft, welches den Bedürfnissen des männlichen Geschlechts durch Filzhüte entgegenkam. Dieser Zufall veranlaßte die Erfindung der Familien Hummel und Hahn, doch auch hier sind weder die Charaktere noch die Familienfeindschaft der Wirklichkeit nachgeschrieben. Nur die Tatsache ist benützt, daß mein Hauswirt besondere Freude daran fand, seinen Hausgarten durch immer neue Erfindungen auszuschmücken: die weiße Muse, die Hängelampen und das Sommerhaus am Wege habe ich dem Gärtchen entnommen. Außerdem sind zwei Charaktere seines Haushalts, gerade die, welche wegen ihres mtythischen Charakters Anstoß erregt haben, genaue Kopien der Wirklichkeit, die Hunde Bräuhahn und Speihahn. Diese hatte mein Hauswirt irgend woher als Wächter seines Besitzes erstanden, sie erregten durch ihr köterhaftes Verhalten den Unwillen der ganzen Straße, bis sie einmal von einem erzürnten Nachbar vergiftet wurden, Bräuhahn starb, Speihahn blieb am Leben und wurde seit der Zeit ganz so struppig und menschenfeindlich, wie er im Roman abgeschildert ist, so daß ihn nach zahllosen Missetaten, die er verübt, sein Besitzer wieder auf das Land geben mußte.
(Gustav Freytag über seinen Roman "Die verlorene Handschrift")
Denn als wir einmal zu Leipzig, noch vor seiner Berufung nach Berlin, allein beieinander saßen, offenbarte er Moritz Haupt mir im höchsten Vertrauen, daß in irgend einer westfälischen kleinen Stadt auf dem Boden eines alten Hauses die Reste einer Klosterbibliothek lägen. Es sei wohl möglich, daß darunter noch eine Handschrift verlorener Dekaden des Livius stecke. Der Herr dieser Schätze aber sei, wie er in Erfahrung gebracht, ein knurriger, ganz unzugänglicher Mann. Darauf machte ich ihm den Vorschlag, daß wir zusammen nach dem geheimnisvollen Hause reisen und den alten Herrn rühren, verführen, im Notfall unter den Tisch trinken wollten, um den Schatz zu heben. Weil er nun zu meiner Verführungskunst bei gutem Getränk einiges Zutrauen hatte, so erklärte er sich damit einverstanden, und wir kosteten das Vergnügen, den Livius für die Nachwelt noch dicker zu machen, als er ohnedies schon ist, recht gewissenhaft und ausführlich durch. Aus der Reise wurde nichts, aber die Erinnerung an jene beabsichtigte Fahrt hat der Handlung des Romans geholfen.
In Leipzig hatte ich kurze Zeit auf der letzten Straße am Rosental bei einem Hutmacher gewohnt, der in seiner Fabrik [623] Strohhüte verfertigte, neben ihm war zufällig ein anderes wohlbekanntes Geschäft, welches den Bedürfnissen des männlichen Geschlechts durch Filzhüte entgegenkam. Dieser Zufall veranlaßte die Erfindung der Familien Hummel und Hahn, doch auch hier sind weder die Charaktere noch die Familienfeindschaft der Wirklichkeit nachgeschrieben. Nur die Tatsache ist benützt, daß mein Hauswirt besondere Freude daran fand, seinen Hausgarten durch immer neue Erfindungen auszuschmücken: die weiße Muse, die Hängelampen und das Sommerhaus am Wege habe ich dem Gärtchen entnommen. Außerdem sind zwei Charaktere seines Haushalts, gerade die, welche wegen ihres mtythischen Charakters Anstoß erregt haben, genaue Kopien der Wirklichkeit, die Hunde Bräuhahn und Speihahn. Diese hatte mein Hauswirt irgend woher als Wächter seines Besitzes erstanden, sie erregten durch ihr köterhaftes Verhalten den Unwillen der ganzen Straße, bis sie einmal von einem erzürnten Nachbar vergiftet wurden, Bräuhahn starb, Speihahn blieb am Leben und wurde seit der Zeit ganz so struppig und menschenfeindlich, wie er im Roman abgeschildert ist, so daß ihn nach zahllosen Missetaten, die er verübt, sein Besitzer wieder auf das Land geben mußte.
(Gustav Freytag über seinen Roman "Die verlorene Handschrift")
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